Viele Fälle kommen erst Monate später zu Tage

Nordhorn/Lingen/Meppen. Die SPD-Bundestagsabgeordnete Dr. Daniela De Ridder sprach mit den Vertreter*innen der Beratungsstellen des Kinderschutzbundes über die gravierenden Folgen der Pandemie und des Lockdowns für Kinder und Jugendliche in einer Digitalkonferenz. Zugeschaltet aus   vom Kinderschutzbund Grafschaft Bentheim waren Anja Jankowsky, Dr. Julia Siebert vom Kinderschutzbund Meppen sowie Dr. Dirk Themann und Heinz Rohoff von der LOGOLingen.

„Die Pandemie trifft zuallererst die Schwächsten unserer Gesellschaft. Hierzu zählen vor allem auch Kinder und Jugendliche. Sie leiden nicht nur unter erheblichen Einschränkungen im Schulalltag und in der Freizeit, sondern auch unter fehlenden Kontakten zu Erzieher*innen, Lehrer*innen, Sporttrainer*innen oder zu Gleichaltrigen. Nicht zu unterschätzen ist daher die Gefahr von Vernachlässigung und Missbrauch, denn für zahlreiche Familien und deren Umfeld stellt die aktuelle Situation eine Zerreisprobe dar. Gerade aber alltägliche Begegnungen sind für den Kinderschutz so wichtig, können hier doch erste Anzeichen im Verhalten der Kinder erkannt werden, die auf sexualisierte oder häusliche Gewalt und Mobbing hindeuten. Daher bin ich sehr dankbar für den Einblick in die Arbeit der Beratungsstellen des Kinderschutzbundes an seinen Standorten in Nordhorn, Lingen und Meppen“, erklärt Dr. Daniela De Ridder, SPD-Bundestagsabgeordnete für den Wahlkreis Mittelems.

Im Gespräch mit Anja Jankowsky vom Grafschafter Kinderschutzbund, Dr. Julia Siebert vom Kinderschutzbund Meppen sowie Dr. Dirk Themann und Heinz Rohoff von der LOGOLingen wurde deutlich, dass auch die Kinderschutzvereine mit ähnlichen Schwierigkeiten zu kämpfen haben wie viele andere Institutionen auch: Beschäftigte müssen überwiegend im Homeoffice arbeiten, persönliche Beratungen sind nur eingeschränkt und unter größerem Aufwand möglich. Dennoch betonen alle Konferenzteilnehmenden des Kinderschutzbundes, dass sie ihre Beratungsangebote weiterführen und selbstverständlich auch unter erschwerten Bedingungen für die Betroffenen stets zur Verfügung stehen. Durch die zwischenzeitliche Schließung von Schulen und Kindergärten seien zwar viele Kontaktmöglichkeiten weggefallen, dennoch sei die Zahl der Anfragen im Vergleich zum Vorjahr leicht gestiegen. Es ist daher zu befürchten, dass Kindesmissbrauch durch Corona noch unsichtbarer geworden ist; folglich müsse besonders in den Lockdown-Monaten mit mehr Straftaten gerechnet werden, die hinter verschlossener Tür geschehen. Dabei sei das Ausmaß aber noch keineswegs eingrenzbar. 

„Es ist sehr nachvollziehbar, dass viele Familien mit Kindern stark belastet, einige auch überlastet sind. Wir müssen daher von einer Art Bugwelle ausgehen, bei der das Ausmaß von Missbrauch, Misshandlungen, Vernachlässigung und häuslicher Gewalt erst dann genauer erkennbar wird, wenn wir wieder einen Status der Normalität herstellen können. Schon deshalb ist es wichtig, die Pandemie sehr ernst zu nehmen und alles dafür zu tun, dass die Inzidenzwerte sinken und die erarbeiteten Stufenpläne zur Öffnungsstrategie auch umgesetzt werden können“, betont De Ridder. 

Alle Beteiligten gehen von einer erheblichen Dunkelziffer aus, da betroffene Kinder großes Vertrauen und daher mehrere Anläufe brauchen, um sich Erwachsenen mit ihrem Problem offenbaren zu können. Der fehlende Kontakt der Kinder zu Gleichaltrigen oder zu Erzieher*innen, Lehrer*innen oder Trainer*innen schränke auch die Möglichkeiten ein, Gewalterfahrungen der Kinder und Jugendlichen rasch erkennen und helfen zu können. Besonders schmerzlich für die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen sei zudem der Wegfall vieler Projekte, bei denen der Kinderschutzbund bei Vereinen, Schulen und Kindertagesstätten zum Thema Missbrauch und Prävention auf spielerische Weise informieren könne.

Da viele Kinder und Jugendliche aufgrund der eingeschränkten Beschulung bereits mit Schwierigkeiten kämpfen, den üblichen Lehrstoff zu erfassen, wird befürchtet, dass viele Schulen sich im und nach dem Lockdown auf die Vermittlung von Lehrinhalten konzentrieren und daher weniger Zeit für Projekttage des Kinderschutzbundes bleibe. Dabei seien aber gerade solche Projektaktivitäten für die Präventionsarbeit erforderlich, die das Lehrpersonal entlasten könne.

Prävention und Sexualaufklärung sei nach wie vor ein Tabuthema; häufig fehle es in den Kitas und Grundschulen an sexualpädagogischen Konzepten; gerade diese seien aber besonders wichtig, damit Kinder, aber auch Erwachsene, angemessene Aufklärung erfahren, über Gefühle und Gewalt sprechen lernen und in ihrem Selbstbewusstsein gestärkt werden. Zudem bestehe gerade durch die vermehrte Nutzung des Internets und sozialer Netzwerke sowie das Fehlen der eigenen Medienkompetenz bei Kindern die Gefahr, dass ein falsches Bild von Sexualität und Sexualverhalten entwickeln. Die Projekttage seien daher auch ein probater Weg, um Selbstkompetenz zu stärken und über Ansprechpersonen zu informieren.

Auch finanziell wünschen sich die gemeinnützigen Vereine mehr Unterstützung, um weiter Informations-Projekte planen zu können, Mitarbeiter*innen einstellen zu können oder auch durch Informationsmaterial auf das Angebot des örtlichen Kinderschutzbundes aufmerksam zu machen. Gerade hier habe sich gezeigt, wie rasch ausgelegte Flyer in Arztpraxen oder Apotheken vergriffen seien, was auf einen deutlichen Informationsbedarf hinweise.

„Das herausragende Engagement der Beratungsstellen der örtlichen Kinderschutzvereine meines Wahlkreises verdient große Anerkennung und Würdigung; diese Arbeit ist gerade während der Pandemie besonders wertvoll.  Die Mitglieder des Kinderschutzbundes in unserer Region, ob als Ehrenämtler oder als Hauptamtliche, leisten einen eminent wichtigen gesellschaftlichen Beitrag. Gleichwohl teile ich auch die Sorgen meiner Gesprächspartner*innen angesichts der hohen Dunkelziffern bei Kindesmissbrauch und Gewalt gegen Kinder; der Lockdown hat dabei die bestehenden Probleme noch schärfer sichtbar gemacht. Die Arbeit zum Schutze unserer Kinder und vor häuslicher Gewalt benötigt dringend mehr Unterstützung. Insbesondere da die Kinderrechte nun auch in das Grundgesetz aufgenommen werden sollen, kommt der Politik hier eine besondere Führsorgepflicht zu. Vor allem müssen gerade im Lockdown die Kontaktmöglichkeiten der Kinder und Jugendlichen ausgebaut werden. Es ist von entscheidender Wichtigkeit, dass die Betroffenen so schnell wie möglich Informationen und Hilfe erhalten können“, unterstreicht De Ridder.

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