Dr. De Ridder spricht auf dem Mediterranen Forum der OSZE-PV in Eriwan
Eriwan – Die SPD-Bundestagsabgeordnete Dr. Daniela De Ridder hat auf der Herbsttagung der OSZE-Parlamentarierversammlung in Eriwan, Armenien, einen humanitären Waffenstillstand im Konflikt zwischen Israel und der Terrororganisation Hamas gefordert.
De Ridder hielt die folgende Rede:
„Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,
gerne möchte ich meine Sicht als neue Vorsitzende des Ad Hoc-Komitees der OSZE PV in die heutige Debatte einbringen.
Wir erleben den Beginn eines Krisenzeitalters der Epochenbrüche. Russlands imperialer Angriffskrieg gegen die Ukraine, der seit mehr als anderthalb Jahren tobt, markiert den Bruch mit der regelbasierten internationalen Friedensordnung nach dem Ende des Kalten Kriegs. Wir müssen der angegriffenen Ukraine weiterhin solidarisch beistehen: humanitär, finanziell und wirtschaftlich, ebenso wie politisch und militärisch.
Es ist wichtig, dass wir als Parlamentarische Versammlung unseren Blick auf unsere Partnerländer im Mittelmeer richten. Der Krieg zwischen Israel und der islamistischen Hamas markiert ebenfalls eine Zäsur. Die Terrorattacken der Hamas am 7. Oktober 2023 sind ein beispielloser Angriff, den wir auf das Schärfste verurteilen! Auch deshalb ist der heutige Austausch mit den Kolleginnen und Kollegen aus den maghrebinischen und arabischen Kooperationsländern so wichtig.
Niemals seit der Schoah wurden an einem einzigen Tag mehr Menschen jüdischen Glaubens getötet. Die Hamas-Terroristen haben mehr als 1.200 Jüdinnen und Juden massakriert, darunter sogar Säuglinge und kleine Kinder, Frauen und alte Menschen. Mehr als 3.000 Menschen wurden verletzt. Die Hamas und andere Terrorgruppen haben über 240 israelische Geiseln in den Gaza-Streifen verschleppt. In der vergangenen Woche habe ich Familienangehörige von Entführten getroffen. Ihre erschütternden Schilderungen zeigen: Niemand kann sich vorstellen, was die Geiseln erleiden müssen, aber auch ihre Angehörigen, die um ihr Überleben bangen.
Um es klar zu sagen: Israel hat das Recht, sich gegen diesen barbarischen Terrorakt zu verteidigen! Nichts rechtfertigt diesen Massenmord an unschuldigen Zivilistinnen und Zivilisten! Die Zerschlagung der Hamas ist ein legitimes und notwendiges Ziel israelischer Selbstverteidigung.
Nach den Bestimmungen des humanitären Völkerrechts und der Genfer Flüchtlingskonvention sind jedoch unverhältnismäßige, wahllose und erst recht vorsätzliche Angriffe untersagt, bei denen Zivilistinnen und Zivilisten getötet oder verletzt werden. Diese gelten zu Recht als Kriegsverbrechen. Von seiner völkerrechtlichen Verantwortung wird niemand entbunden.
Seit der israelischen Gegenoffensive wurden bereits mehr als 10.000 Palästinenserinnen und Palästinenser getötet. Das sind in nur vier Wochen mehr Opfer als in allen anderen Gazakriegen zuvor. Von insgesamt rund 2,3 Millionen Bewohnerinnen und Bewohnern Gazas sollen bereits über 1,5 Millionen in den Südteil geflohen sein, der bislang nicht militärisches Operationsgebiet israelischer Bodentruppen ist. Das ist die bislang größte Fluchtwelle in der Geschichte des Nahostkonflikts.
Die legitime Vergeltung des Hamas-Terrors durch Israel rechtfertigt keine Kollektivbestrafung der palästinensischen Zivilbevölkerung! Sie leidet selbst seit Jahren unter der Herrschaft der radikalen Islamisten. Aktuell ist das Schifa-Krankenhaus in Gaza Stadt Schauplatz der Kämpfe. Israels Armee vermutet unter dem Krankenhaus die Hauptkommandozentrale der Hamas. Die Menschen im Krankenhaus, darunter Schwerstkranke und Schwerverwundete, entbindende Mütter und Neugeborene, aber auch hunderte Schutzsuchende vor den Kämpfen befinden sich in akuter Lebensgefahr. Sie werden von der Hamas als menschliche Schutzschilde missbraucht.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,
lassen Sie uns für einen sofortigen humanitären Waffenstillstand eintreten! Die Menschen in Gaza benötigen sichere Fluchtwege und Evakuierungsmöglichkeiten. Sie brauchen humanitäre Hilfe für die grundlegenden Lebensbedürfnisse – Lebensmittel, medizinische Versorgung, Unterkünfte, Strom und Brennstoff. Ich begrüße die Bemühungen Ägyptens, humanitäre Versorgungskorridore einzurichten. Ich danke allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern von internationalen Hilfsorganisationen, die oft bis zur völligen körperlichen und psychischen Erschöpfung versuchen, die Not der Menschen vor Ort zu lindern. Ein Waffenstillstand kann zudem genutzt werden, um die israelischen Geiseln freizubekommen.
Meine große Sorge gilt der möglichen Ausweitung des Konflikts zu einem Flächenbrand im gesamten Nahen Osten. Trotz aller Gräueltaten kann nur eine politische Lösung zu dauerhaftem Frieden zwischen Israel und den Palästinensern führen. Dies ist nur auf Grundlage der Zwei-Staaten-Lösung möglich. Nach dem internationalen Recht haben die Palästinenserinnen und Palästinenser unverändert ein Selbstbestimmungsrecht in einem eigenen Staat. Dieser muss wirtschaftlich überlebensfähig sein und über ein zusammenhängendes Territorium verfügen. Israel muss den völkerrechtswidrigen Siedlungsbau im besetzten Westjordanland stoppen! Die willkürlichen Gewaltakte von israelischen Siedlern gegen die palästinensische Zivilbevölkerung müssen unterbunden werden.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns gemeinsam mit den Kolleginnen und Kollegen aus den Partnerländern des Maghreb und Nahen Ostens die Möglichkeiten der parlamentarischen Diplomatie nutzen, um für Frieden im Nahen Osten einzutreten! Die Küstenregionen des Mittelmeeres waren einst die Wiegen antiker Hochkulturen der menschlichen Zivilisation. Heute gleicht es eher einem Massengrab, in dem Flüchtende ertrinken. Das muss sich ändern. Lassen Sie uns daran arbeiten, das Mittelmeer wieder zu einer Brücke zwischen den Völkern und Kulturen zu machen! Das ist unsere gemeinsame Verantwortung! Vielen Dank.“
Nachfolgend selbige Rede von Dr. De Ridder in englischer Sprache.
„Solidarity with Israel and the two-state solution is not a contradiction
Dear colleagues,
I would like to present my views to today’s debate as the Chair of the OSCE PA Ad Hoc Committee.
We are experiencing the beginning of a crisis era of epochal ruptures. Therefore Russia’s imperial war of aggression against Ukraine marks a break with the rules-based international peace order after the End of the Cold War. We must continue to show solidarity with Ukraine in humanitarian, financial and economic,
as well as politically and militarily terms.
As the Parliamentary Assembly, it is important that we turn our attention to the partner countries in the Mediterranean. The war between Israel and the Islamist Hamas also marks a turning point. The terrorist attacks by Hamas on October 7, 2023 are an unprecedented attack. We condemn this in the strongest
possible terms! This is one reason why today’s exchange with our colleagues from the Maghreb and Arab cooperation countries is so important.
Never since the Shoah more people of the Jewish faith have been killed in a single day. Hamas terrorists have massacred more than 1,200 Jews, including babies and children, women and elderly people. More than 3,000 people were injured. Hamas and other terrorist groups have abducted over 240 Israeli hostages in the Gaza Strip. Last week, I met family members of the kidnapped. Their harrowing accounts show: No one can imagine the suffering of their families and friends. To be clear: Israel has the right to defend itself against this barbaric act of terror! Nothing justifies this mass murder of innocent civilians! The destruction of Hamas is a legitimate and necessary goal of Israeli self-defense. However, according to the provisions of international humanitarian law and the Geneva Convention, military attacks against civilian population are prohibited. These are rightly considered war crimes. No one is released from their responsibility under international law.
Since the Israeli counter-offensive, more than 10,000 Palestinians have already been killed. That are more victims in just four weeks than in all previous Gaza wars. Out of a total of around 2.3 million inhabitants of Gaza, over 1.5 million are said to have already fled to the southern part, which is not yet a military area of operations for Israeli ground troops. This is the largest wave of refugees in the history of the Middle East conflict.
The legitimate retaliation of Hamas terror by Israel does not justify collective punishment of the Palestinian civilian population! They themselves have been suffering for years under the rule of the radical Islamists. The Shifa hospital in Gaza City is currently the scene of fighting. Israel’s army suspects that Hamas‘ main command center is located under the hospital. The people in the hospital, including the seriously ill and seriously wounded, mothers giving birth and newborn babies, as well as hundreds of people seeking protection from the fighting, are in acute mortal danger. They are being abused by Hamas as human shields.
Dear colleagues,
Let us call for an immediate humanitarian ceasefire! The people of Gaza need safe escape routes and evacuation options. They need humanitarian aid for the basic necessities of life – food, medical care, shelter, electricity and fuel. I welcome Egypt’s efforts to establish humanitarian supply corridors. I thank all the
staff of international aid organizations who are trying, often to the point of complete physical and mental exhaustion, to alleviate the suffering of the people on the ground. A ceasefire can also be used to free the Israeli hostages.
My great concern is that the conflict could escalate into a conflagration in the entire Middle East. Despite all the atrocities, only a political solution can lead to lasting peace between Israel and the Palestinians. It is my conviction, this is only possible on the basis of a two-state solution. Under international law, the Palestinians still have the right to self-determination in their own state. This state must be economically viable and have a contiguous territory. Israel must stop building settlements in the occupied West Bank in violation of international law! The arbitrary acts of violence by Israeli settlers against the Palestinian civilian population must be stopped. Solidarity with Israel and the two-state solution is not a contradiction!
Dear colleagues,
Please let us use support the peace in Palästina and Israel together with our colleagues from the partner countries of the Maghreb and the Middle East! The coastal regions of the Mediterranean were once the cradle of ancient civilizations. Today it is more like a mass grave in which refugees are drowning. This must change. Let us work to make the Mediterranean a bridge between peoples and cultures again!
That is our shared responsibility! Thank you very much.“